Schon seit Jahren wird bei der BGH Edelstahl Siegen das Schälen als bevorzugtes Verfahren angewandt, um an geschmiedeten, zylindrischen Stäben die Oxyd- und Walzhaut sowie mögliche Oberflächenbeschädigungen zu entfernen. Mit der derzeit größten Schälmaschine von der SMS group GmbH kann nun sogar Stabstahl auf den Fertigdurchmesser von 600 mm effizient geschält werden.
Die BGH Edelstahl in Siegen produziert Edelstahl und Sonderlegierungen für höchste Beanspruchungen. Um die gewünschte Oberflächengüte, Maßgenauigkeit und Rundheit ihrer Stabstähle zu gewährleisten, werden die Stäbe von der BGH vor der Auslieferung geschält. Das Ergebnis sind Halbfabrikate, die von Drehereien weiterverarbeitet werden. So dienen die Stäbe als Vormaterial für den Maschinenbau, die Öl & Gas Industrie oder der Chemischen Industrie. Auch hochbeanspruchte Getriebe für Windkraftanlagen entstehen aus dem Vormaterial der Firma BGH. „Unsere Kunden wünschen sich einen mechanisch bearbeiteten Stabstahl, ohne rohe Schmiedeoberfläche“, erklärt Jost Kretzer, Betriebsleiter bei der BGH. Um sowohl die gewünschte Durchmessertoleranz als auch Oberflächenrauigkeit zu gewährleisten, wird die Oxyd- und Walzhaut der geschmiedeten Stäbe abgeschält.
„Einer der Hauptvorteile des Schälens ist der gleichzeitige Einsatz von mehreren Werkzeugen, das wiederum höhere Vorschübe als beim Drehen ermöglicht. Um einen Stab aus Werkzeugstahl mit Durchmesser 600 mm und 8 m Länge fertig zu bearbeiten, benötigen wir beim Drehen rund 8 Stunden, mit dem Schälen sind wir nach 30 Minuten fertig. Das ist schon ein gewaltiger Unterschied“, so Kretzer. Dabei sind eine Durchmessertoleranz von 0,5 mm und eine Oberflächenrauigkeit von Ra=0,5 µm der Standard. Es ginge aber auch noch feiner und genauer: „bis zu einem Toleranzgrad von IT 11“, stellt Jost Kretzer klar. „Danach fahren wir den bearbeitenden Stabstahl über automatische Ultraschall-Prüfanlangen und können damit die innere Beschaffenheit und die Oberfläche auf Fehler prüfen. Somit gewährleisten wir unseren Kunden eine 100 %ige Produktqualität.“
Mit der Investition in eine der weltweit größten Schälanlagen hat die BGH nun auf die sich verändernden Marktsituationen reagiert. Denn gerade hochqualitative Güten werden auch mit großen Durchmessern fast nur noch mit bearbeiteten Oberflächen und entsprechend hohen Prüfanforderungen ausgeliefert. „Die höheren Verkaufsmengen hätten wir mit den bestehenden Maschinen nicht mehr abbilden können“, erklärt Kretzer. „Wir mussten uns entscheiden: Entweder 5 bis 6 neue Drehmaschinen oder eben eine weitere Schälmaschine.“ Da die Hälfte der Produktionsmengen bei BGH über die bereits bestehende Schälmaschine abgewickelt wurde und bei einem Ausfall kein Ersatz vorhanden gewesen wäre, fiel die Entscheidung zu Gunsten einer weiteren Schälmaschine. Die neue Maschine musste aber bestimmte Eigenschaften mitbringen. Mit ihr sollte die Bearbeitung von Stabstahl mit einem Gesamtgewicht von 25 Tonnen und einem Durchmesserbereich von bis zu 600mm möglich sein. „Mit diesen Zahlen sind wir an die Schälmaschinenhersteller herangetreten, weil es solch eine Maschine in dieser Größenordnung bis dato noch nicht gab. Mit der Firma SMS group haben wir dann im Projektierungszeitraum von 2 Jahren diese Maschine nach unseren Wünschen konzipiert“, erinnert sich Jost Kretzer.
Die SMS group entwickelte für die Anforderungen von BGH ein komplett neues Bearbeitungskonzept, das die geschmiedete Stabstahl Herstellung revolutionierte. Die neue Schälmaschine vom Typ PMH 600 ersetzt die konventionelle Drehtechnik und schält Stabmaterial bis zu 630 mm Durchmesser und 18 m Länge. Im Bereich bis zu 600 mm Durchmesser setzt sich somit erstmals das Schälen durch und eröffnet ganz neue Marktsegmente. Unter anderem für den Maschinenbau, die Öl & Gas Industrie, die chemische Industrie aber auch für hoch beanspruchte Getriebe für Windkraftanlagen, kann BGH nun das Vormaterial effizient, schnell und hochqualitativ liefern.
Die besondere Herausforderung innerhalb der Fertigung von Blankstählen besteht darin, dass hier häufig zerspanungstechnisch schwierige Werkstoffe wie rostfreie Stähle und Nickelbasis-Legierungen verarbeitet werden. Die Maschinen der PMH-Baureihe bieten hierzu höhere Leistungsreserven als Vorgänger oder die konventionelle Drehtechnik. Die neue PMH-Baureihe kann - je nach Kundenanforderung - nicht nur nach dem herkömmlichen Prinzip mit starren Führungen arbeiten, sondern passt sich bei Bedarf der Krümmung der Stange an und nimmt nur minimal Stahl ab.
Ein weiteres Kernanliegen war, für die PMH 600 im Verbund mit den umgesetzten schältechnischen Innovationen ein über die Lebensdauer der Maschine optimiertes Betriebskostenkonzept zu realisieren. Der Aufwand für Wartung und Werkzeugwechsel ist bei der PMH 600 gegenüber den Großschälmaschinen der Vorgängergeneration deutlich reduziert worden. So entfällt beispielsweise durch die Verwendung von verschleißarmen Einschubrollen das regelmäßige Wechseln der Einschubrollen. Ein solcher Wechsel verschlissener Rollen eines Einschubapparates verschlingt nicht nur mehrere tausend Euro Materialkosten, sondern benötigt bis zu einer halben Schicht Arbeitszeit, in der die Maschine nicht produzieren kann.
Ferner beschränkt sich der Werkzeugwechsel bei der PHM der SMS group auf das Tauschen der Werkzeugkassetten und ermöglicht eine minimale Wechselzeit der Schälwerkzeuge. Bei herkömmlichen Maschinen muss hierzu die gesamte Schlitteneinheit getauscht werden. Ebenso kann der gesamte Verstellbereich der Maschine mit nur einem Werkzeug abgedeckt werden. Das neue Verfahren ist somit nicht nur bis zu sechzehnmal schneller als die Drehtechnik, nimmt weniger Material ab und kommt auch mit Krümmungen im Schmiedestab zurecht, sondern ermöglicht auch den Eintritt in neue Marktsegmente.
Für die BGH war die Investition in solch eine Maschine nicht ohne Risiko. Schließlich gab es bis dato weder eine Schälmaschine dieser Größenordnung noch ein Werkzeug, mit dem die hohen Zerspanungswerte realisiert werden konnten. Aus diesem Grund wandte sich die BGH an die Experten von Cutting Solutions by CERATIZIT, die für die verschiedensten Anwendungen im Bereich Schälen ein umfangreiches Programm an Schälwendeschneidplatten anbieten und über ein fundamentales Fachwissen auf diesem Gebiet verfügen. Die speziellen Bedürfnisse der BGH und die Anforderungen, die eine der weltweit größten Schälmaschinen an das Werkzeug stellt, veranlassten CERATIZIT völlig neue Schälwendeschneidplatten zu entwickeln. Produktmanager Ronald Huber erinnert sich noch gut an die Entwicklung: „Die bestehende Rundplatte hatte gerade hinsichtlich ihrer Positionierbarkeit entscheidende Nachteile. Wir haben die Schruppplatte daher auf eine mehrkantige Außenform umgestaltet, um neben der exakten Indexierung im Plattensitz auch bessere Zerspanungseigenschaften zu erreichen.“ Laut Huber ist ein guter Spanbruch ausschlaggebend, um prozesssicher zu schälen. Denn bei 5 Tonnen Späne die pro Stunde im Schälprozess anfallen, muss eine Langspanbildung unbedingt vermieden werden. „Mit der neuen Sechskant-Schruppplatte gewährleisten wir nicht nur beste Spanformung. Sie hält auch den extrem hohen Vorschüben von bis zu 24 mm/U stand.“
Gerade bei einfacher zu bearbeitenden Bau- und Vergütungsstählen erzielt die BGH mit der neuen Sechskant-Platte von CERATIZIT hervorragende Ergebnisse. In Zukunft sollen aber auch höherlegierte Materialien mit den neuen Schälwendeplattentypen bearbeitet werden. Dazu werden immer wieder Tests an der Schälmaschine durchgeführt, um die Ergebnisse zu optimieren. „Wir sind enorm dankbar, dass wir von der BGH die Möglichkeit bekommen, unsere Schälplatten auf der Maschine zu testen. Nur so gelingt es, unsere Werkzeuge stetig weiterzuentwickeln und zu verbessern“, erklärt Andreas Schätzl, Head of Engineering bei CERATIZIT. „Die Entwicklung unserer neuen Sechskant-Schruppplatte war schon ein Stück Pionierarbeit, bei der wir uns gemeinsam mit der BGH und der SMS group in Bereiche des Schälens vorgewagt haben, wo noch keiner war und bis zum heutigen Tage - außer uns - noch keiner ist“, betont Schätzl.
Auch für Jost Kretzer ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der SMS group als Maschinenhersteller und Cutting Solutions by CERATIZIT als bevorzugter Werkzeuglieferant der Schlüssel zum Erfolg. „Wenn nicht alle Beteiligten an einem Strang gezogen hätten, wäre ein solches Ergebnis nicht möglich gewesen“, ist sich der BGH Betriebsleiter sicher. „Wir als Anwender sind auch weiterhin in der Pflicht und müssen offen und ehrlich die Vor- und Nachteile kommunizieren. Solange Werkzeuglieferant und Maschinenhersteller ein offenes Ohr für diese Belange haben, können die Resultate weiter verbessert werden. Dadurch gewinnen alle Parteien“, so Kretzer.