Künstliche Hüftgelenke müssen hochpräzise gefertigt werden. Dabei geht es insbesondere um den Steckbereich von Hüftschaft und Gelenkkugel. Die dafür von uns entwickelte Zerspanungslösung basiert im Wesentlichen auf dem Einsatz eines U-Achs-Systems und einer Formreibahle. Mit diesen (und anderen) Präzisionswerkzeugen werden alle geforderten Toleranzen eingehalten, und zugleich steigt die Produktivität gegenüber konventionellen Fertigungsmethoden
Wenn ein Hüftgelenk durch Bewegungseinschränkungen sowie anhaltende Schmerzen die Lebensqualität beeinträchtigt und konservative Behandlungsmethoden keine Hilfe mehr bieten, entscheiden sich viele Menschen für die Implantation eines künstlichen Ersatzgelenks – in Deutschland mehr als 200.000 Mal pro Jahr. Sie hoffen auf langanhaltende Besserung. Damit ihr Wunsch in Erfüllung geht, sind neben einem guten Operateur und erstklassiger Versorgung auch qualitativ höchstwertige „Ersatzteile“ erforderlich.
Eine solche Prothese besteht in der Regel aus einem Hüftschaft mit Gelenkkugel, einer Hüftpfanne und einem Zwischenstück, das für optimale Gleiteigenschaften sorgt. Besondere Aufmerksamkeit erfordert die Verbindung zwischen Hüftschaft und aufgesteckter Gelenkkugel. Damit die konischen Flächen exakt zueinander passen, müssen sie in höchster Präzision und Oberflächengüte gefertigt werden.
Bei der Herstellung dieser Komponenten spielen die eingesetzten Werkzeuge eine entscheidende Rolle. Dirk Martin, unser Application Manager Medical erklärt: „Ein künstliches Hüftgelenk besteht aus schwer zerspanbaren Materialien, die nicht nur in engsten Toleranzen, sondern auch möglichst wirtschaftlich zu zerspanen sind. Schließlich soll ein künstlicher Hüftersatz für viele Menschen in höchster Qualität verfügbar sein. Wir arbeiten mit großem Engagement daran, für solche Aufgaben passende Werkzeuglösungen zu finden.“
Die CERATIZIT-Gruppe ist ein Vollsortimenter im Zerspanungsbereich, der auf verschiedenste Werkzeuge in Standard- und Sonderausführungen zurückgreifen kann und über ein tiefgreifendes Zerspanungs-Know-how verfügt. „Mit unserem riesigen Produktprogramm und der Expertise unserer Anwendungsspezialisten sind wir für Aufgabenstellungen wie der Bearbeitung des Steckbereichs von Hüftschaft und Gelenkkugel hervorragend gerüstet“, betont Application Manager Martin. „Wir können mit unserer Werkzeugvielfalt verschiedene Ansätze prüfen, um schließlich die optimale Lösung zu finden.“
Im Fall des künstlichen Hüftgelenks sind die Anforderungen von Kundenseite besonders anspruchsvoll und vielfältig. Beim Hüftschaft aus der hochfesten Titanlegierung Ti6Al4V ist im konisch geformten Steckbereich eine Winkeltoleranz von nur +/-5‘ einzuhalten. Weitere Toleranzen liegen für die Geradheit bei 3 µm, für die Rundheit bei 8 µm und im Durchmesser bei 60 μm. Wichtig ist außerdem, dass beim Konus der vorgegebene Traganteil erreicht und ein exakt definiertes Rillenprofil erzeugt wird.
Die Gelenkkugel besteht aus einer Cobalt-Basis-Legierung (Co-Cr-Mo). Ihre konische Bohrung muss die gleichen hohen Form-, Winkel- und Maßtoleranzen einhalten, ebenso den vorgegebenen Traganteil. Jedoch dürfen hier beim Zerspanen keinerlei Marken, Riefen oder Rillen entstehen. Dirk Martin ergänzt noch einen entscheidenden Faktor: „Wir benötigen eine massenproduktionstaugliche Fertigungslösung. Das heißt, die Bearbeitung muss prozesssicher und mit möglichst geringem Überwachungsaufwand ablaufen.“
Für die Herstellung der konischen Außenkontur entschieden wir uns zur Vorbearbeitung mit einem VHM-Konusfräser. Den anschließenden Schrupp- und Schlichtschnitt übernimmt ein U-Achs-System. „Darunter versteht man eine einwechselbare, frei programmierbare NC-Achse für Bearbeitungszentren“, erklärt Dirk Martin, „die beliebige Kontur- und Drehbearbeitungen ermöglicht. Mit Aufsatzwerkzeugen und Wendeschneidplatten lassen sich Konturen in Bohrungen sowie Außenbearbeitungen realisieren. Das ermöglicht meist eine erhebliche Verkürzung von Fertigungszeiten, bei optimierter Oberflächenqualität und höherer Formtreue als konventionell.“ Und damit lässt sich die gewünschte Rillenstruktur auf dem Schaftkonus auch auf einem Bearbeitungszentrum erzeugen. Mit dem Vorteil, dass alle Bearbeitungsgänge auf einer einzigen Maschine stattfinden können. In konventioneller Weise würden eine Dreh- und eine Fräsmaschine benötigt, was zusätzliches Umspannen, Ausrichten, Zeit- und Kostenaufwand bedeutet.
Um die konische Bohrung in die Gelenkkugel einzubringen, sieht unsere Lösung folgende Schritte auf einer Drehmaschine vor: Zunächst wird das Bauteil plangedreht, um dem nachfolgenden vierschneidigen Sonder-VHM-180°-Bohrer einen geraden Anschnitt zu bieten. Dieser erzeugt dann eine Bohrung mit ebenem Grund. Das konturnahe Ausdrehen des Konus übernimmt ein EcoCut Classic Bohr- und Drehwerkzeug, ehe eine Sonder-VHM-Konusreibahle für das ideale Tragbild bei perfekter Oberflächengüte und Toleranz sorgt. Ihre Nachschlifffähigkeit spart dem Anwender zusätzlich Kosten in der Fertigung. Dirk Martin kommentiert: „Wir könnten die Innenkontur hinsichtlich der Präzision auch mit einer U-Achse erzeugen. Allerdings ist die Reibahle bei der geforderten extrem glatten Oberfläche die bessere Methode.“
Summa summarum werden die kritischen Konturen des künstlichen Hüftgelenks mit unserem Lösungsansatz prozesssicher und äußerst wirtschaftlich hergestellt. Das erzielte Tragbild (Traganteil und Tragfläche) sowie die Toleranzen liegen bei beiden Bearbeitungen weit unterhalb der vorgegebenen Grenzen. Dirk Martin ist stolz auf diese Teamleistung: „Wir konnten uns damit bei unserem Kunden, einem renommierten Medizintechnik-Unternehmen, als Komplettanbieter positionieren – mit Aussicht auf weitere Aufträge.“ Außerdem empfiehlt sich der Werkzeugspezialist für ähnliche Anwendungen, zum Beispiel im Bereich künstlicher Schultergelenke (ebenfalls mit Schaft und Gelenkkugel) sowie bei Befestigungen für künstliche Kniegelenke.